Vortrag und Filmvorführung mit Gespräch
Montag, 01. Juli 2019
Zwei Veranstaltungen des Deutschen Kulturforums östliches Europa, Potsdam, in Zusammenarbeit mit der Ukrainisch-Deutschen Kulturgesellschaft am Zentrum Gedankendach der Jurij-Fedkowitsch-Universität Czernowitz decken die intensive Beschäftigung von zwei siebenbürgisch-sächsischen Intellektuellen mit der traditionsreichen literarischen Landschaft der Bukowina auf.
Die Bukowina, auch Buchenland genannt, war ein multiethnisch geprägtes Kronland des Habsburger Reiches. In Czernowitz (ukr. Cernivci, rum. Cernăuți), dem bekanntesten literarischen und kulturellen Zentrum der Region, kursierten mindestens sechs Sprachen und drei Schriften. Von hier stammen berühmte deutschsprachige Autoren wie Karl Emil Franzos, Alfred Margul-Sperber, Rose Ausländer, Paul Celan, Alfred Kittner, Manfred Winkler u. a. Die Bukowina steht für ein „Europa im Kleinen“. Durch ihr reiches multikulturelles Erbe ist die Region seit jeher eine Inspirationsquelle sowohl für Schriftsteller als auch für Filmemacher. Der Schriftsteller Hans Bergel und der Filmemacher Frieder Schuller nähern sich auf unterschiedliche Weise dieser Landschaft an.
Hans Bergel widmet den Essayband „Bukowiner Spuren“ (Rimbaud Verlag, 2002) Dichtern und bildenden Künstlern aus der Bukowina, aber auch viele andere seiner Bücher beschäftigen sich mit Persönlichkeiten aus diesem Landstrich. In seinem Vortrag am 5. Juni 2019 im Paul-Celan-Literaturhaus Czernowitz sprach er über fünf Persönlichkeiten: Alfred Margul-Sperber, Gregor von Rezorri, Dorothea Sella, Margit Bartfeld-Feller und Manfred Winkler. Mit ihnen verband ihn eine tiefe Freundschaft. So kam es, dass er sie nicht aus literaturwissenschaftlicher Perspektive betrachtete, sondern als Freund. Sperber stellte Bergel als Helfer, Rezzori als Weltmann, Sella als Märtyrerin, Bartfeld-Feller als Chronistin und Winkler als Weisen vor. Von Dr. Oxana Matiychuk, Dozentin für „Ausländische Literatur“ an der Jurij-Fedkowitsch-Universität Czernowitz, wurde Hans Bergel kongenial übersetzt.
Frieder Schullers Spielfilm „Im Süden meiner Seele“ (D/RO 1988), der am 6. Juni 2019 ebenfalls im Paul-Celan-Literaturhaus Czernowitz vorgeführt wurde, zoomt Paul Celans Bu-karester Jahre heran. Es waren glückliche Jahre. Paul Celan erinnert sich in einem Brief aus Paris an seinen Bukarester Freund, den Publizisten Petre Solomon: „Ich habe eine Reihe großer französischer Dichter kennengelernt – und auch übersetzt (wie ich auch die Blüte der deutschen Dichtung kennengelernt habe). Manche von ihnen haben mir durch Zueignung und Widmung ihre Freundschaft kundgetan, von der ich nur Folgendes sagen kann: Sie erwies sich ausschließlich als literarisch. Aber ich hatte, es ist lange her, Dichterfreunde – das war zwischen ’45 und ’47 in Bukarest. Ich werde es nie vergessen.“ Doch waren auch Celans unbeschwerte Jahre in Bukarest getrübt vom Trauma des Verlustes seiner Eltern und der Angst vor einer erneut auflodernden Diktatur mit einem anderen Vorzeichen.
Die Moderatorin der beiden Veranstaltungen, Dr. Ingeborg Szöllösi, Südosteuropa-Referentin im Deutschen Kulturforum östliches Europa, betonte daher zu Recht, dass es sich bei den im Film präsentierten glücklichen Augenblicken eher um ein „trauriges Glück“ handelt. Mehr scheint dieser Dichterpersönlichkeit, der mit dem Gedicht „Todesfuge“ das bedeutendste dichterische Zeugnis nach dem Zweiten Weltkrieg gelang, nicht zuteil geworden zu sein. Das Gedicht wurde erstmals 1947 mit dem Einverständnis Celans in rumänischer Übersetzung als „Tangoul morții“ in der Zeitschrift „Contemporanul“ abgedruckt – im Winter 1947, kurz nachdem Paul Celan Bukarest für immer verlassen hatte. Wien – sein Ziel – erreichte er mit einem Empfehlungsschreiben Alfred Margul-Sperbers in der Tasche. Einmal mehr erwies sich Sperber als väterliche Figur und Helfer, wie Hans Bergel das am Vortag überzeugend vorgeführt hatte.